Mittwoch, 2. Juni 2010

Ballesterer 53


Rezension


Ballesterer fm
Nr. 53, WM-Sonderausgabe
98 S.







Aus Anlaß der WM wie vor zwei Jahren zur EM ein dicker, 100-seitiger Ballesterer. In der Gestaltung an Reiseführer angelehnt werden Informationen über die Austragungsorte geboten und interessante Geschichten über die Teilnehmerländer des Turniers erzählt. Dazu erfreuen Randnotizen wie die zehn schrecklichsten WM-Songs.

Eigentlich viel spannender sind aber die Artikel über das Land Südafrika selbst. Neben der Frage der Nachnutzung der für den lokalen Fußball übergroßen WM-Stadien, sind dies Begebenheiten wie die von Gerald Hödl geschilderte Ablehnung der FIFA, in Kapstadt das bestehende Fußballstadion in Athlone als Austragungsort zu akzeptieren ab − aufgrund der Armut der Gegend. "Eine Milliarde Fernsehzuschauer wollen diese Hütten und eine derartige Armut nicht sehen" zitiert Hödl die kolportierte Begründung der FIFA-Delegierten. Daher wurde in einem reichen Viertel, malerisch am Meer, eine architektonisch schöne neue Arena auf die grüne Wiese gestellt − die nach den Spielen leer stehen wird. Um Unsummen. "Kommentatoren erinnern etwa an jüngste Sparmaßnahmen in den Spitälern von Kapstadt. Für den Gegenwert des Green Point Stadium hätte die Regierung im Township Khayelitsha 60.000 Häuser bauen können, die 300.000 Menschen für Jahrzehnte ein Dach über dem Kopf bieten würden − und nicht 68.000 für 90 Minuten." schreibt Hödl. Ein Hauptteil der millardenschweren Bauinvestitionen im ganzen Land floß an große internationale Baukonzerne.
Nicht die Vergabe einer WM an ein Land wie Südafrika ist falsch, das ist im Gegenteil sogar höchst notwendig, sondern die Politik der FIFA, sich von den Austragungsländern für wenige Wochen schöne neue Welten finanzieren zu lassen und sie dann mit verschärften sozialen Problemen und Investitionsruinen statt einer modernisierten Fußballinfrastruktur für den Ligaalltag zurück zu lassen.

Eine sehr gute Sache sind die vielen historischen Bezüge und Informationshappen zur Geschichte des Landes, v.a. zu Rassismus und Apartheid, aber auch zu den Kriegen Ende des 19.Jhs. zwischen britischen und burischen europäischen Kolonialisten. Beides unabkömmlich für das Verständnis der Zusammenhänge. Allerdings wäre wohl ein Glossar angebracht gewesen. Was Apartheid war, wissen oder ahnen die meisten wohl noch, doch ob allen p.t. Leserinnen und Lesern des Hefts klar ist, wer mit diesen immer wieder genannten "Buren" gemeint ist, ist wohl nicht mehr ganz sicher. Vielleicht unterschätze ich die Breite und Tiefe historischen Wissens aber auch. Auf jeden Fall lernt man durch das Heft dazu.

P.S.: Nicht ganz klar war mir, warum Armin Pfingstl von "im Westen so oft als 'Kryptokommunisten' verhöhnten Nordkoreanern" schreibt. Also weniger kryptisch und vielmehr offen die kommunistische Staatsideologie vor sich her tragend als in Nordkorea geht eigentlich gar nicht mehr.

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