Dienstag, 31. Mai 2016

11 Freunde, 174


Rezension


11 Freunde
Magazin für Fußballkultur
Nr. 174, Mai 2016
122 S.






Der Niederlande-Experte David Winner beleuchtet in einem Nachruf auf Johan Cruyff das unterschiedliche Gedenken an ihn in Amsterdam und Barcelona, wo er jeweils sowohl als Spieler als auch als Trainer prägende Spuren hinterließ. Bei Barcelona sehen sie Cruyff „nicht nur als einen der besten Spieler aller Zeiten − in einer Reihe mit Pelé und Maradona −, sondern auch, was noch viel wichtiger ist, als den Trainer, Lehrmeister und Guru, der ihre moderne Fußballphilosophie begründet hat. Ohne Cruyff wäre Barça wahrscheinlich ein mittelmäßiger Verein im Schatten Real Madrids geblieben. Und Spanien als Nation wäre vielleicht noch ganz dem La-Furia-Geist der Franco-Ära verhaftet, wonach der Fußball eine Arena für Schweiß, Tapferkeit und Kraft ist, also das genaue Gegenteil der von Cruyff inspirierten Mischung aus Stil, Intelligenz und Schönheit.“
Ganz anders war die Erinnerung in Amsterdam, wie Winner ausführt: „Bei den Holländern konzentrierte sich die nostalgische Komponente nach Cruyffs Tod hingegen ganz auf den aktiven Fußballer und das damit einhergehende kulturelle Phänomen von vor vierzig Jahren. Erstaunlich wenige Worte wurden über seine späteren Leistungen als Trainer oder maßgeblichen Begründer der holländischen Schule verloren.“ Man kann es nicht hoch genug einschätzen: „Heutzutage sind Pressing und die taktische Flexibilität von Verteidigern und Angreifern völlig normal. In den siebziger Jahren war das revolutionär.“ Doch das Revolutionäre an Cruyff beschränkte sich in den 1970ern nicht nur auf das Fußballfeld: „Als jemand, der sich nie den alten Autoritäten unterwarf, prägte er die holländische Fußballkultur und veränderte das Selbstbild der Nation.“

Die Titelgeschichte singt ein Loblied auf den Amateurfußball, wo alles besser und schöner als in den Plastikstadien der großen Fußballwelt ist − über selbstaufgebaute Vereine, Fanklubs, Erlebnisse etc. Weiters gibt es im Heft etwas über die Bayern-Amateure und ihren sportlich unüberbrückbaren Abstand zur Profimannschaft sowie ein interessantes Portrait des rumänischen Goalies Helmuth Duckadam, der mit vier gehaltenen Elfern im Elfmeterschießen entscheidend am Europacupsieg von Steaua Bukarest gegen Barcelona im Meistercup 1986 verantwortlich war und der wenig später aufgrund einer Erkrankung seine Karriere beenden musste.

Der Stadionposter zeigt ein altes Schwarz Weiß-Bild des Mailänder San Siro vor dem Umbau von 1990.

Sonntag, 29. Mai 2016

Lugano - FC Zürich 0:1 (0:1)

Schweiz, Schweizer Cup, Finale, 29.5.2016
Stadion Letzigrund, 21.500

Das Schweizer Cupfinale, in dem sich der erst vier Tage zuvor ermittelte Absteiger FC Zürich und der knapp gerettete Meisterschaftsvorletzte FC Lugano gegenüberstanden, war kein spielerisches Glanzlicht. Dramatik gab es aber genug. Seien es ein gehaltener Elfmeter von Lugano in der ersten Halbzeit oder jeweils ein Stangenschuss auf beiden Seiten binnen fünf Minuten in der zweiten Hälfte. Das Tor des Abends machte der FCZ. Bis zum Elfer hatte das vom italienischen Altmeister Zdeněk Zeman trainierte Lugano das Spiel bestimmt, nach diesem psychologischen Wendepunkt war der FC Zürich besser.
In der Zürcher Südkurve wurden vor Spielbeginn immer wieder Böller den Ordnern auf der Laufbahn vor die Füße und an die Ohren geworfen. Mit den während des Spiels krachenden Böllern waren das gut zwei Dutzend in Summe. Zu Matchbeginn gab es Feuerwerk und schwarzen Rauch. Support gab es angsichts des Abstiegs aber keinen. Gesungen wurde nur vereinzelt, selten, nicht vom Kern und unorganisiert. Die meiste Zeit über war die Südkurve still. Die an die Mannschaft gerichtete Botschaft des großen Spruchbands, welches das ganze Match hindurch über dem Südkurven-Fetzen hing, war deutlich: „Gewinnt das Finale, geht heim und schämt euch weiter!“ Zum Wiederbeginn nach der Pause wandte man sich dann auch noch an den ungeliebten Präsidenten. Zum Schluss gab es FCZ-Sprechchöre aus der Sitzplatz-Kurvenhälfte. Die unterschiedlichen Ansichten im Anhang wurden nach Schlusspfiff deutlich: Als ein paar wenige Fans in Sturmhauben den Zaun der Südkurve im Eck zur Längsseite überkletterten, machten dort einige dutzend Anhänger vom Typus mittelalter Familienvater rabiat klar, dass sie davon nichts hielten und stritten teils handgreiflich einige Minuten lang mit den Beteiligten. Zwei Spieler brachten den Pokal vor die Kurve und stellten ihn dort auf der Laufbahn ab. Als sich kein Protest erhob, liefen die bis dahin im Gatter vor der Haupttribüne wartenden übrigen FCZ-Spieler freudig in die Kurve, wo ihnen aber Ablehnung entgegenschlug. Sie wandten sich daraufhin zu den Fans auf den anderen Tribünen, die Mannschaft und Pokal bejubelten und beklatschten. Eine gespaltene Atmosphäre.
In der Kurve von Lugano wurde ein Potpourri schöner italienischer Gesänge zum besten gegeben. Für Lugano aus dem italienischsprachigen Tessin war der gefüllte Fansektor in einen Kurvenhälfte samt den Sitzplatz-Anhang in der halb vollen zweiten Kurvenhälfte daneben ein Massenauflauf (ca. 7.000 Leute). Als Intro war der Wunsch zu lesen, nach 1931, 1968 und 1993 den Cup ein weiteres nach Hause zu bringen. Es gab einen Doppelhalter mit italienisch-deutschem Sprachwitz („Uli Forte, Lugano besser“, Uli Forte ist der FCZ-Trainer) und einen Hinweis per Spruchband, dass sich Zürich jetzt in der Liga B befindet (die zweite Schweizer Liga hieß früher Nationalliga B).
Der FC Zürich wurde 1896 gegründet. Zwölfmal wurde der FCZ Schweizer Meister (erstmals 1902, zuletzt 2009) und nunmehr zum neunten Mal Cupsieger (erstmals 1966, vor 2016 zuletzt 2014). 1963/64 (Niederlage gegen Real Madrid) und 1976/77 (Niederlage gegen Liverpool) erreichte der FCZ das Semifinale im Europacup der Meister. Zum letzten Mal hatte der FC Zürich 1988/89 und 1989/90 zwei Jahre in der zweiten Liga verbracht.
Wiener Trainer des FC Zürich waren 1922–1924 Johann Studnicka (WAC), 1942/43 Franz Sobotka (Vienna), 1953–1955 Friedl Joksch (Admira und Austria), 1958/59 Karl Rappan, der zwischen 1937 und 1963 viermal Schweizer Teamchef war (u.a. WM 1954), als Spieler mit Rapid 1930 Meister sowie Mitropacup-Sieger wurde und als Rapid-Trainer 1969 Cupsieger war, sowie 1983 für ein Monat der weitere Ex-Rapidler Max Merkel. Weiters trainierten den FC Zürich 1986–1987 Hermann Stessl und 1991–1994 Kurt Jara. Im Europacup schied der FCZ 2006 leider gegen die Salzburger Dosen aus, 2008 stieg man nach Elfmeterschießen gegen Sturm Graz auf.
Das Stadion Letzigrund wurde 1925 als Stadion des FC Zürich eröffnet. Aus finanziellen Gründen musste der Verein das Stadion 1935 an die Stadt Zürich abtreten, die es seither besitzt. Das heutige Stadion ist ein 2006 und 2007 für die EM 2008 errichteter, kompletter Neubau an alter Stelle. Während des Umbaus des Letzigrund spielte der FC Zürich im Hardturm-Stadion des Stadtrivalen Grasshopper Club Zürich. Da der Hardturm anschließend abgerissen und nicht mehr neu gebaut wurde, spielen die Grasshoppers zu ihrem Leidweisen seither auch im Letzigrund. Das neue Stadion ist ebenso wie der Vorgänger ein Leichtathletikstadion. Auffällig sind die an nach hinten geneigten 31 kleinen Flutlichtmasten, die ringsum am Dach verteilt sind. Bei der EM passten hier 30.930 Zuschauerinnen und Zuschauer herein, für den Leichtathletikbetrieb hat das Stadion 25.773 Plätze und für den Fußball 26.104 (national) bzw. 24.061 (international). Zwar hatte bereits das erste Schweizer Cupfinale 1926 im alten Letzigrund-Stadion stattgefunden, das war allerdings auch das letzte gewesen. So war das Cupfinale 2016 eine Rückkehr nach neunzig Jahren.
Vor dem Spiel wurde die Stadt Zürich besichtigt.